Ist die Zulässigkeitserklärung der Kündigung einer Schwangeren gem. § 9 Abs. 3 MuSchG rechtmäßig, wenn diese im privaten Bereich bei Facebook eine u.U. ehrenrührige Äußerung über einen Kunde
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof 12 C 12.264
Frage:
Ist die Zulässigkeitserklärung der Kündigung einer Schwangeren gem. § 9 Abs. 3 MuSchG rechtmäßig, wenn diese im privaten Bereich bei Facebook eine u.U. ehrenrührige Äußerung über einen Kunden ihres Arbeitgebers getätigt hat?
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sagt: NEIN.
Der Fall:
Die schwangere Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Regierung Mittelfranken – Gewerbeaufsichtsamt – mit dem eine außerordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 3 MuSchG für zulässig erklärt wurde.
Die Klägerin hatte zuvor auf ihrem privaten Facebook-Account über O2 telefonica, einen Kunden ihres Arbeitgebers O2 folgende Äußerung gepostet:
„Boah kotzen die mich an von O2, da sperren sie einfach das Handy, obwohl schon man schon bezahlt hat .. und dann behaupten die es wären keine Zahlungen da. Solche Penner … Naja ab nächsten Monat habe ich einen neuen Anbieter …“
Die Klägerin ist als Sicherheitsmitarbeiterin im Empfangsbereich eingesetzt.
Der Arbeitgeber begründete seinen Antrag, die außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 626 BGB nach § 9 Abs. 3 MuSchG zuzulassen, im Wesentlichen damit, dass die Klägerin als Sicherheitsmitarbeiterin für das Kundenprojekt O2 telefonica eingestellt worden. Wer aber so über ein Unternehmen denke, könne dieses gegenüber Kunden und Angestellten nicht repräsentieren. Die Äußerungen „kotzen die mich an von O2“ in Verbindung mit „solche Penner“ erfülle darüber hinaus den Straftatbestand der Beleidigung und der üblen Nachrede (§§ 185 ff. BGB).
Das Gewerbeaufsichtsamt ließ die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu. Hiergeben erhob die Klägerin Klage und beantragte darüber hinaus ihr Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen. Beides lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss ab, da seiner Auffassung nach keine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage bestehe. Hiergeben legte die Klägerin Beschwerde ein.
Die Entscheidung:
Die Beschwerde hatte in der Sache Erfolg.
Der Gerichtshof hat zunächst ausgeführt, dass nur in besonderen Ausnahmefällen, die nicht mit dem Zustand der Frau während der Schwangerschaft zu tun haben, eine Kündigung ausnahmsweise für zulässig erklärt werden können. Ob ein solcher besonderes Ausnahmefall vorliegt sei dabei keine Ermessensentscheidung, sondern eine voll gerichtlich überprüfbare Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes. Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein solcher besonderer Ausnahmefall, der die Merkmale des „besonderen Falles“ und die eines „Ausnahmefalles“ zugleich in sich trage, nur dann anzunehmen sei, wenn außergewöhnliche Umstände es rechtfertigen, die vom Gesetz als vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren hinter die des Arbeitgebers zurücktreten zulassen (vgl. BayVGH a.a.O.) Ein „besonderer Fall“, in dem ausnahmsweise eine Kündigung während der Schwangerschaft für zulässig erklärt werden kann, sei deshalb – sofern nicht ohnehin der Zusammenhang zwischen dem Zustand einer Frau während der Schwangerschaft oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung die Annahme eines solchen Falles bereits ausschließt – nur bei besonders schweren Verstößen der Schwangeren gegen arbeitsvertragliche Pflichten gegeben, die dazu führen, dass dem Arbeitgeber die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses schlechthin unzumutbar wird (vgl. BayVGH a.a.O.).
Damit sei der „besondere Ausnahmefall“ auch nicht mit dem „wichtigen Grund“ i.S.d. § 626 BGB gleichzusetzten.
Im Nachfolgenden führe das Gericht breit und detailliert aus, dass stets im konkreten Fall, anhand der getätigten Äußerung, sehr genau zwischen dem Recht des Äußernden auf freie Meinungsäußerung und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abgewogen werden muss. Dabei reicht alleine die - auf den ersten Blick vorliegende - Ehrenrührigkeit einer Äußerung nicht bereits aus um von einer Schmähkritik im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auszugehen.. Die richtige Erfassung des Sinns der streitgegenständlichen Äußerung sei Voraussetzung jeder zutreffenden rechtlichen Würdigung (vgl. BayVGH a.a.O., so auch BVerfGE 93, 266 [295]). Lassen die Äußerungen - namentlich im umgangssprachlichen Bereich - eine nicht ehrenrührige Deutung zu, so verletze eine Gerichtsentscheidung, die ein solches Verständnis übergangen hat, regelmäßig Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. ebenda.). Dabei sei auch zu berücksichtigen, in welchem Zusammenhang die Äußerung getätigt wurde. Vorliegend sei nämlich zu berücksichtigen gewesen, dass sich die Äußerung lediglich als sprachlich pointierte Bewertung im Kontext einer bestimmten sachlichen Auseinandersetzung des rein privaten Vertragsverhältnisses zwischen den Betroffenen dargestellt hatte. Dass dabei O2 telefonica zugleich auch Kunde des Arbeitgebers O2 war, könne an dieser Bewertung nichts ändern. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerungen gehe der Klägerin (selbstredend) nicht alleine dadurch verlustig, dass sie bei O2 angestellt war. Die Klägerin habe - wie jeder andere Kunde auch - lediglich rein private Interessen wahrgenommen.
Darüber hinaus hat das Gericht sehr klargestellt, dass es durchaus einen Unterschied mache, ob die Klägerin die streitgegenständliche Äußerung in dem sog. „öffentlichen“ oder „privaten“ Bereich bei Facebook gepostet hatte. Das Gericht ging dabei bei letztem davon aus, dass dies einer „vertraulichen Kommunikation“ im Sinne der Rechtsprechung des Arbeitsgerichte entspreche - eine derartige Äußerung in vertraulichen Gesprächen vermöge eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit auch die Annahme eines „besonderen Falles“ im Sinne des § 9 Abs. 3 S. 1 MuSchG nicht begründen. Die vertrauliche Kommunikation in der Privatsphäre sei dabei Ausdruck der Persönlichkeit und grundrechtlich gewährleistet.
Anmerkung:
Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof macht eindeutig klar, dass die Kündigung einer Schwangeren eine „hohe Hürde“ darstellt. Dabei genießt die darüber entscheidende Behörde auch keinesfalls ein Ermessen, ob ein „besonderer Ausnahmefall“ im Sinne des MuSchG vorliegt. Vielmehr hat das Gericht sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass dies eine voll gerichtlich überprüfbare Entscheidung darstellt. Dass hierbei sehr hohe Anforderungen gestellt werden (müssen), lässt sich aus dem großen Begründungsaufwand des Gerichts ersehen. Dabei ist stets zu beachten, dass hier das Grundrecht der freien Meinungsäußerung Art. 5 Abs. 1 GG im Raum steht, eine Einschränkung desselben mit hohen Anforderungen behaftet ist. So hat das Gericht in Anflehung an das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass eine Äußerung keinesfalls losgelöst von der Situation der Entäußerung betrachtet werden kann. Es macht sehr wohl einen Unterschied, ob eine solche Äußerung im rein privaten Rahmen getroffen wurde oder nicht. Interessant erscheint dabei, dass das Gericht den privaten Rahmen auch auf die „private-Kommunikation“ bei Facebook übertragen hat und hier klar danach abgrenzen will, ob eine öffentliche Äußerung oder eine solche getätigt wurde, die nur den „Freunden“ der Klägerin zugänglich war. Im Ergebnis durchaus nachvollziehbar scheint hier das Gericht in den neuen Medien angekommen zu sein.
Juliane Kazemi